Frei dank des „Funkfingers“
Nicht nur ältere Menschen entscheiden sich in stetig steigender Zahl für den DRK-Hausnotruf
Wie ein Schmuckstück baumelt der kleine rote Knopf um den Hals von Michael Prietz, während er aufrecht im Bett sitzt. Der an Multipler Sklerose leidende Sozialwissenschaftler hat ihn direkt im Blick und vor allem in Reichweite. „Auch wenn ich mit dem Rollstuhl in der Wohnung unterwegs bin, ist er natürlich immer dabei“, berichtet Prietz über das Minigerät, das für ihn ein Stück Alltagssicherheit bedeutet. „Ich lag schief im Bett, konnte alleine nicht zurück in eine angenehme Liege- oder Sitzposition“, fährt er fort. Das obere Teil des Pflegebetteinsatzes war abgebrochen, er drückte auf den Hausnotrufknopf, wurde mit der in Walsrode ansässigen Hausnotrufzentrale des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) verbunden, schilderte kurz seine Situation und binnen weniger als einer halben Stunde stand ein Mitarbeiter des DRK-Kreisverbandes Celle an seinem Bett und half. Er gehörte dem Hintergrunddienst (HGD) an. „Diesen habe ich mit gebucht“, erläutert Prietz. Die Hausnotrufzentrale entscheidet, ob es sich um einen medizinischen Notfall, einen pflegerischen Einsatz oder einen „mittelschweren“ Fall für den Hintergrunddienst handelt.
RUND UM DIE UHR EINSATZBEREIT
Dieser tritt in Aktion, wenn eine Rufauslösung nicht das Rausfahren eines Rettungswagens erfordert, sondern darunter angesiedelt ist. „Manchmal finden wir die Menschen hilflos und bewegungsunfähig auf dem Boden liegend vor“, berichtet Petra Köhler-Gerberding, sie ist eine aus dem zwölfköpfigen Celler DRK-Hausnotrufteam unter der Leitung von Antje Rudnick, und hier speziell für den Hintergrunddienst zuständig. Die Nienhägenerin steht während ihrer Rufbereitschaft für ein Interview zur Verfügung, das jedoch von einer Minute zur anderen beendet sein kann. Das Serviceangebot garantiert an 365 Tagen im Jahr eine 24-stündige Rufbereitschaft. „Wenn mein Diensthandy klingelt, muss ich sofort los“, warnt die Frau in Uniform. „Ich übe diese Tätigkeit sehr gerne aus“, sagt sie. Ihr Ursprungsberuf ist Heilpraktikerin, von daher verfügt sie sogar über eine Qualifizierung, die über die vorgeschriebene Sanitätsausbildung hinausgeht. Während der Bereitschaft ist ihr Einsatzgebiet die Stadt und der gesamte Landkreis mit insgesamt rund 700 Teilnehmern, also Personen, die den Service entweder als Basis- oder erweiterte Leistung, also mit Hintergrunddienst, gebucht haben. Es besteht die Möglichkeit, eine Kontaktperson zu nennen und/oder Schlüssel zu hinterlegen, Voraussetzung für eine Buchung ist beides nicht.
Die Zahl der teilnehmenden Menschen hat sich seit 2013 fast verdoppelt, vor sechs Jahren nutzten lediglich rund 380 Personen den DRK-Hausnotruf.
SKRUPEL, DEN NOTRUF AUSZULÖSEN
„Manchmal habe ich in drei Tagen acht Einsätze, und dann ist wieder gar nichts“, erzählt Petra Köhler-Gerberding aus ihrem Arbeitsalltag. Sobald der sirenenähnliche Ton ihres Handys erklingt, würde sie zunächst ins Tablet schauen, wo die Daten von jedem Teilnehmer, inklusive Art der Erkrankung und Medikation, hinterlegt sind. Die Rückbank ihres DRK-Fahrzeuges ist mit sämtlichen Erste-Hilfe-Gerätschaften bestückt, Petra Köhler-Gerberding ist für alle Eventualitäten gerüstet. „Ich darf mich nicht allzu weit vom Auto entfernen“, sagt sie. „Notfallmedizin interessiert mich, man hat viel Kontakt mit Menschen, langweilig wird es nie“. Auch Psychologie gehört dazu. „Manchmal braucht man Fingerspitzengefühl“, erzählt die Fachfrau. Immer wieder begegnet ihr eine bestimmte Grundhaltung zur Anwendung des Notrufknopfes, der auch Funkfinger genannt wird. „Nicht wenige Menschen haben Skrupel, den Funkfinger zu betätigen. Nie ist es in ihrer Wahrnehmung die richtige Tageszeit, mal ist es noch zu früh oder schon zu spät oder gerade Feierabendverkehr. Sie wollen einfach nicht stören. Zum Beispiel nachts legen sie den Knopf ab, weil sie Angst haben, ihn aus Versehen auszulösen.“ Der dringende Appell der DRK-Mitarbeiterin lautet daher: „Bitte, bitte tragen! Das ist oberstes Gebot. Auch in der Badewanne oder beim Duschen muss das Mini-Gerät nicht abgelegt werden, es ist wasserdicht. „Nur Knopf drücken! Alles andere geht automatisch“, bringt die engagierte Rotkreuzlerin den Service auf eine knappe Formel.
PIONIERE DES HAUSNOTRUFS
Die Anfänge der Dienstleistung liegen in den frühen 70er Jahren. Der DRK-Kreisverband Celle gehört zu den Pionieren: Als einer der ersten Hausnotrufdienste deutschlandweit ging 1984 die Diakonie Südheide gGmbH an den Start, Partner war das DRK Celle. „Seit 1997 bieten wir einen eigenständigen DRK-Hausnotrufdienst an“, berichtet die Hausnotrufbeauftragte Antje Rudnick. „Dieser Service bedient keineswegs nur ältere Leute, auch jüngere Menschen mit chronischen Erkrankungen nutzen ihn. Manchmal, zum Beispiel wenn ein Patient aus dem Krankenhaus entlassen wird, muss es ganz schnell gehen, dann installieren wir binnen eines Tages.“ Dieses ist mittlerweile nicht mehr sehr aufwendig.
Michael Prietz gehört zur Gruppe der jüngeren Teilnehmer. Er lebt mit seiner Frau in einer lichtdurchfluteten Wohnung mit Parkausblick. Für ihn bedeutet der Funkfinger mehr als Alltagssicherheit. Er macht unabhängig, den Nutzer selbst und auch die Angehörigen und Pflegenden. „Ich kann einen ganzen Tag weg sein, ich weiß, es kann mit Michael nichts passieren“, berichtet Jutta Duensing, und ihr Mann ergänzt: „Ich bin frei, obwohl ich auf Hilfe angewiesen bin. Dieses Gefühl habe ich nur, weil dieser Knopf zuverlässig ist“, sagt Michael Prietz mit Blick auf seinen täglichen Begleiter, der wie ein Schmuckstück an seiner Brust baumelt.
Text und Foto: Anke Schlicht