"Mit 90 in die WG" - Seniorenresidenz geht neue Wege
Die Bewohner gestalten ihren Tagesablauf aktiv mit.
Leben in der Wohngemeinschaft (WG) - das war bis vor einigen Jahren ein Begriff, der in erster Linie für die Phase des Studierens stand. Doch die Zeiten ändern sich. „Dieses zukunftsweisende Versorgungskonzept bietet einen großen Freiraum“, sagt die DRK-Fachbereichsleiterin Anke Brockmann über ein unlängst in der DRK-Seniorenresidenz Hermannsburg angelaufenes Projekt.
23 stationäre Pflegeplätze wurden umgewandelt in zwei ambulant betreute Wohneinheiten für jeweils zehn Männer und Frauen. „Die Kunden leben in einer betreuten Wohngemeinschaft zusammen“, berichtet Brockmann. Jeder und jede verfügt über einen privaten Bereich, der mit eigenen Möbeln ausgestattet werden kann. Gekocht wird gemeinsam, die Einkäufe werden im Vorfeld zusammen geplant und durchgeführt, um am Ende die Mahlzeiten in der Gruppe im behaglich eingerichteten Aufenthaltsraum einzunehmen. Die hauswirtschaftlichen Belange und Erfordernisse des Alltags werden in gleicher Weise gemeistert. Die Strukturen sind dem familiären Alltag nachempfunden. Das Augenmerk liegt auf der sozialen Komponente, wobei die Unterstützung und Begleitung, die jeder einzelne Bewohner benötigt, individuell angepasst werden. „Keine Pflege-, sondern Hausstrukturen“, heißt es in der Fachsprache.
„Die Menschen gestalten ihren Tagesablauf aktiv mit“, benennt die erfahrene Fachbereichsleiterin einen Vorzug der innovativen Wohnform. Eine wichtige Rolle kommt den sogenannten „Präsenzkräften“ zu, die in Schichten arbeiten und so 24 Stunden vor Ort sind. Sie nehmen keine pflegerischen Aufgaben wahr. „Für diesen Zweck steht ein ambulanter Pflegedienst zur Verfügung“, erläutert Pflegedienstleiterin Sabrina Mielke und ergänzt: „Auch für die Reinigung ist gesorgt.“
Derzeit ist das Projekt, das dem zunehmenden Problem der Vereinsamung entgegenwirkt und gleichsam die Selbstbestimmtheit bis ins hohe Alter stärkt, im Aufbau begriffen. Eine, die die Herausforderung annimmt, ist Ida Brock, obwohl die 90-Jährige über sich erzählt: „Ich habe viel alleine gelebt, bin Einzelkämpferin.“ Der Beruf, den sie in ihrer aktiven Zeit ausgeübt hat, passt ideal zum Hermannsburger Modell. „Ich habe als Hauswirtschafterin gearbeitet“, berichtet sie. Lange wohnte sie mit ihrem Mann in Beckedorf, im September 2001 zog sie um ins „Betreute Wohnen Timm Willem Weg 8“, im Jahr 2020 ließ eine Krankheit auch für Ida Brock diese Wohnform nicht mehr zu, sie war auf stationäre Pflege angewiesen. Doch sie erholte sich und wagt nun den Sprung in die WG. Ein wenig Skepsis schwingt mit, wenn Frau Brock sagt: „So richtig vorstellen kann ich es mir noch nicht. Viel wird davon abhängen, wie die anderen Leute sind.“ Aber sie ist fest entschlossen und sogar ein wenig ungeduldig: „Ich hoffe, dass wir alles bald geregelt bekommen.“ Es klingt nach einem Neuanfang mit 90 und WG-Leben pur, wenn Ida Brock kurz zurückblickt, dann in die Zukunft schaut: „Ich war es gewöhnt zu arbeiten und möchte auch heute noch etwas beitragen“, und anschließend ihre handfesten Pläne verkündet: „Zum Bügeln habe ich mich freiwillig gemeldet und auch bei der Wäsche könnte ich mithelfen.“
Text und Foto: Anke Schlicht